Nordkap retour einfach irgendwas

Juni
27

19.15
Norwegische Kinowerbung ist an der Grenze des Ertragbaren, zumindest jene für das lokale Gewerbe. Word-Art-Typo und Powerpoint-Animationen. Brr. Die "echten" Werbespots sind dafür so kreativ, dass man sich auch ohne ein Wort zu verstehen hervorragend amüsiert. Der Film selbst war eher mässig. Bis auf jene Szene, wo Frau Rehauge ihren Smart mit Vollgas rückwärts durch den Gegenverkehr lenkt und ihn an einer Kreuzung zwischen zwei 40-Tönnern hindurchpackt. Rückwärts einparkieren war gestern. Glücklicherweise war der Film nicht synchronisiert, ansonsten wäre ich wohl etwas ans Limit gekommen. Bereits der dauernde Wechsel zwischen englisch, französisch und lateinisch war ziemlich anspruchsvoll, die norwegischen Untertitel halfen nur bedingt. Die Story ist natürlich inhaltlich kreuzfalsch, die junge französische Kryptologin ist nämlich keineswegs der einzige Nachkomme Jesus', stand auf meinem Hurtigruten-Ticket von Honningsvåg nach Hammerfest doch "Thomas Christi", da mein zweiter Vorname nicht genügend Platz hatte. So, hätten wir das auch geklärt. Als ich nach dem Verlassen des Kinos (wie gewöhnlich geschah das durch einen Nebeneingang) mein Velo bei der Kasse abholen wollte, war der Haupteingang geschlossen und die Eingangshalle sah ziemlich unbelebt aus. Ich schaffte es zurück durch den Kinosaal zur Kasse, wo ich schliesslich doch noch jemanden antraf, der mir Zugang zu meinem Velo verschaffen konnte. Mein Puls normalisierte sich wieder.

Auf dem Schiff angelangt packte ich mein iBook aus, um Peter einige Zugfahrpläne zu zeigen, die ich ihm im Laufe des Tages herausgesucht hatte. Dabei entdeckte ich einige WLANs, u.a. eines mit dem Namen Hurtigruten. Ich nahm deshalb an, dass es zum Schiff gehörte. Da es passwortgeschützt war, fuhr ich mit dem Lift 4 Stockwerke hinunter zur Reception.
"May I have the password for the WLAN?"
"What? We don't have that."
"But i can see it on my notebook."
"No."
"OK, thank you."
Ich fand schliesslich ein ungeschütztes Netz, als ich mit dem Laptop ein wenig in der Gegend herumlief. Die Verbindung funktionierte jedoch nur, wenn das iBook im exakt richtigen Winkel auf dem Tisch lag. Als das Schiff sich beim Ablegen 1mm bewegte, brach die Verbindung sofort zusammen. Eigentlich bin ich ein elender WLAN-Sklave.

Am Morgen überredete mich Peter dazu, für 25.- auf dem Schiff zu frühstücken. Es lohnte sich sehr, das Buffet war einfach perfetto. Ich konnte mich anschliessend kaum mehr vom Stuhl erheben. Nach etwa 6-stündiger Fahrt auf den Lofoten angekommen, tranken wir noch einen Kaffee und verabschiedeten uns dann. Erstaunlicherweise war das Wetter ziemlich sonnig, starker Gegenwind machte die Fahrt jedoch zur Qual. Am Nachmittag besserte es sich etwas, da die Fahrtrichtung leicht änderte, dafür begann es leicht zu regnen. Als ich frühabends die Brücke über eine Meerenge zu überqueren hatte, blies der Wind so stark von schräg vorne, dass ich dauernd den Fuss absetzen musste, um nicht umzukippen. Nach der Brücke machte die Strasse eine Kurve und der Wind kam mir nun frontal entgegen. Da ich nur noch mit 10km/h vorwärts kam, beendete ich den Tag ziemlich frustriert bereits um 18.00, kochte Pasta und las zwei, drei Stunden. Wenn ich mit dem dazu nötigen Equipment ausgerüstet gewesen wäre, hätte ich mich sofort nach Hause gebeamt.

Am nächsten Morgen hatte ich erstmals seit Beginn der Reise nur mässig Lust, aufzustehen und weiterzufahren. Ich tat es trotzdem. Der Wind hatte etwas nachgelassen, war jedoch immer noch sehr mühsam. Als Entschädigung schien wenigstens die Sonne, ein einigermassen akzeptabler Deal. Nach 2 Stunden war ich trotzdem ziemlich demotiviert, legte auf einem kleinen Rastplatz eine Pause ein und machte mir erstmals Gedanken über eine Heimreise per Schiff und Zug. Als ich eine junge deutsche Familie nach Wasser fragte (Autofahrer schleppen da immer tonnenweise durch die Gegend), kamen wir ins Gespräch (dabei stellte sich heraus, dass er ebenfalls Thomas hiess). Sie waren auf dem Weg ans Nordkap und ich konnte ihnen einige Fragen dazu beantworten, im Gegenzug erzählten sie mir einiges über meine (allfällige) weitere Route und boten mir zudem an, auf dem Weg durch Deutschland bei ihnen zu übernachten. Meine Laune besserte sich langsam. Als ich kurz darauf in einem Tankstellen-Shop eine ganze Menge mit Rosinen gefüllte Brötchen gratis bekam, da sie bereits einen Tag hinter sich hatten, war die Welt schon beinahe wieder in Ordnung. Wenig später traf ich auf einen
deutschen Velofahrer, mit dem ich bereits vor Tromsø auf einer Fähre einige Worte gewechselt hatten. Die nächsten zwei Stunden fuhren wir gemeinsam. Es handelte sich offenbarum einen Mediziner, der momentan in Bremen beim Arbeitsschutz tätig ist. Das Schöne an Akademikern ist, dass man mit Ihnen nicht nur über irgendwelche Fahrradreisen diskutieren kann. Beispielsweise über EU-Bürokratie ("Wenn der Experte für Hämmer in Brüssel bemerkt, dass es davon grosse und kleine gibt, hat er sofort zwei Unterstellte. Einen für die grossen Hämmer und einen für die kleinen."). Die Zeit verging wie im Fluge. In Svolvær trennten wir uns, da er bereits von dort aus mit der Fähre nach Bodø übersetzen wollte. Ich machte mich auf den Weg in die 70km entfernte Ortschaft Leknes. Da ich keine Detailkarte von den Lofoten hatte (vermutlich liegt sie irgendwo zuhause, da ich der Meinung war, ich würde sie nicht benötigen), war ich wieder mit der 1:150000-Karte unterwegs, was auf diesem Teilstück etwas entnervend war. Unter anderem war ein inexistenter 2km langer Tunnel eingezeichnet, was mich leicht verwirrte. Ich erreichte Leknes trotzdem gegen Abend und fand wieder einmal einen wunderschönen Zeltplatz.

Am folgenden Morgen fuhr ich zeitig los, füllte an eine Tankstelle meine Sprit-Flasche und legte die letzten 65km durch die Lofoten zurück. Das Wetter blieb trocken, zeitweise drückte sogar die Sonne durch. Die Wahrscheinlichkeit von 3 Tagen trockenem Wetter am Stück ist auf den Lofoten meines Wissens so klein, dass ich über die paar Tropfen auf dem letzten Kilometer grosszügig hinwegschaute. Bis zum Ablegen der Fähre hatte ich zwei Stunden Zeit, während denen ich meine vorderen Bremsklötze und die Akkus meiner Kamera wechselte (Das Ladegerät hätte ich mir sparen können, dieser Satz Batterien hat nun seit Beginn der Reise durchgehalten. Und ich habe noch zwei weitere Sätze. Toll.).

Nach 3h Schifffahrt erreichte ich Bodø, was eigentlich ganz angenehm war. Ich hatte mein Abteil nämlich mit 4 deutschen Rentner geteilt, die sich ununterbrochen Katzen-Geschichten erzählten ("Ja, und einmal hat unser Kater doch tatsächlich bliblablu"). Nach einigem Suchen fand ich ein Café mit WLAN, schaffte es jedoch nicht, irgendwas Sinnvolles zu tippen. Deshalb beliess ich es bei den Bildern und verliess die Stadt. Nach 10km parkierte ich mein Zelt auf einer kleinen Anhöhe direkt am Meer. Es regnete ein wenig und der Wind versuchte mit aller Kraft, mein Zuhause zu zerfetzen.

Heute war ich wiederum nur mässig motiviert, obwohl die Bedingungen nicht schlecht waren. Ich machte beinahe stündlich eine Pause und musste mich jedes Mal wieder aufraffen, um weiterzufahren. Vermutlich leide ich an einer Überdosis Fjorde. Diese Teiler können sich nämlich ziemlich einengend anfühlen. Ich war überglücklich, als ich nachmittags aus einem Tunnel kam und das offene Meer vor mir hatte. Ohne Felswand dahinter. Jedenfalls habe ich mich entschieden, morgen zuerst einige Stunden mit dem Schiff zu fahren und anschliessend ungefähr 75km ins Landesinnere nach Mo I Rana zu velölen, um von dort aus mit dem Zug nach Oslo zu gelangen. Zur Zeit kann habe ich einfach absolut keine Lust, diese gut 1000km auf dem Velo zurückzulegen. Bereits beim Gedanken daran schaudert mir.

Mit der Aussicht auf einige gemütliche Tage liege ich nun trotz allem völlig zufrieden im Zelt, esse Caramel-Cookies und geniesse den Anblick des inzwischen endlich wieder einmal tiefblauen Himmels. Die Sonne scheint ins Zelt, man hört das Rauschen eines Bachs, das Zirpen der Grillen und zeitweise sogar ein wenig Kuhglockengebimmel. Gerade eben hat sich auch ein Kuckuck bemerkbar gemacht.

 

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