Nordkap retour einfach irgendwas

Mai
23

22.15
Der Grossteil der tschechischen Fauna ist zweidimensional und klebt auf der Strasse. Plattgewalzte Hasen, plattgewalzte Vögel, plattgewalzte Katzen. Ausserdem hat es der Partikelfilter noch nicht bis in den Osten geschafft. Ein tschechischer oder polnischer Lastwagen stösst in 5min so viele Russpartikel wie die Schweizer Landwirtschaft in einem Jahr aus. Wenn das die SVP wüsste. Vermutlich wird das Zeugs hier eingesammelt und vom tschechischen Geheimdienst in die Schweiz geschmuggelt. Da bekommt die Feinstaubdiskussion eine völlig neue Dimension. Und wir haben es aufgedeckt.

Einige Kilometer nach Prag kamen wir an zwei gut 100m hohen Türmen vorbei, Metallkonstruktionen in der Art eines Baukrans. Nur ohne Kran. Eigentlich ohne nix. Keine Kabel, keine Antennen, kein Riesenrad dazwischen. Einfach zwei riesige Türme. Faszinös. Noch spannender wurde es, als wir beim Durchfahren eines Dorfes plötzlich eine Lautsprecherdurchsage hörten, gefolgt von klassischer Musik mit der Tonqualität eines 250jährigen Plattenspielers. Überall entlang der Strassen waren Lautsprecher aufgehängt, wie wir entdeckten. Einige Leute standen draussen und hörten sich die Sache an. Der Sinn war uns etwas schleierhaft. Ich tippte auf einen Reaktorunfall. Als kurz danach ein ziemlich grosses Kernkraftwerk (4 Kühltürme) auftauchte, wechselten wir unauffällig das Thema. Am Nachmittag versagte übrigens erstmals das Amt für auswärtige Windverhältnisse, hatten wir doch tatsächlich einige Stunden lang Gegenwind, als wir nach Osten fuhren. Erst beim Abbiegen in Richtung Nordosten löste sich das Problem. Nach 125km, ca. 50km von der polnischen Grenze entfernt, beendeten wir den Tag. In der Nacht regnete es kurz, heute Morgen war jedoch - wie es sich gehört - bereits wieder alles trocken.

Gegen Mittag überquerten wir die polnische Grenze. Im letzten Supermarkt davor mussten wir noch einige Kronen loswerden und kauften uns für umgerechnet je 1 Fr. ein paar Hamburger. Beim Zoll hatte ich meinen ersten Sturz. Da mein Schuh sich nicht vom Klickpedal lösen wollte, kippte ich doch tatsächlich wie ein Sack Halbweissmehl seitwärts auf den Boden. Sachen gibts. Man liess uns trotzdem ausreisen. Beim polnischen Grenzposten wies ich leider wiederum meine ID vor, womit mir der erste Stempel im roten Pass versagt blieb, wie mir kurz darauf klar wurde. Nun ja, es wird ja noch genügend Gelegenheiten dazu geben. Ansonsten male ich selber etwas. Nach der Grenze mussten wir eine Art Pass überqueren. Die Strasse führte durch ein bewaldetes Tal aufwärts, es hatte jedoch mehr Lastwagen als Bäume. Da überall gebaut wurde, gab es dauernd Warteschlangen vor Lichtsignalen, was dazu führte, dass man wirklich pausenlos zugenebelt wurde. Zudem war die Strasse ziemlich schmal, man musste oft im Strassengraben fahren, um die Lastwagen passieren zu lassen. Nicht, dass man uns deswegen dankbar gewesen wäre. Bei den kurzen Abfahrten dazwischen wurde ich mehrmals beinahe von einem LKW gestreift, der nach dem Überholen zu früh einlenkte. Die einzige Voraussetzung für das Erlangen einbes polnischen Lastwagen-Führerscheins ist wohl das Plattwalzen von einigen tschechischen Tieren. Alles in allem fühlten wir uns wie neu geboren, als wir endlich auf eine Nebenstrasse ausweichen konnten. Die Luft in einer Schweizer Grossstadt wird uns bei der Rückkehr wie Chanel No.5 vorkommen.

Das Wetter war wieder einmal perfekt, zwar meist bedeckt, aber warm und trocken. Auch der Wind wehte wieder zu unserer Zufriedenheit. Landschaftlich hat sich verständlicherweise noch relativ wenig verändert, abgesehen davon, dass das polnische Grenzgebiet ziemlich bewaldet und hügelig ist. Die Menschen haben immer noch einen Kopf und um die 4 Extremitäten (oder ist ersterer etwa auch eine Extremität?) und die Tiere kleben immer noch auf der Strasse vor sich hin. Der grösste Nachteil Polens ist wohl, dass es hier keine leichtbekleideten, fahradfahrenden tschechischen Frauen mehr gibt. Was vielleicht auch gesünder ist. Schöne Frauen und aufmerksames Fahren schliessen sich nämlich offenbar aus, wie Sigi zu Beginn der Reise in Bregenz aufs Eindrücklichste demonstrierte, als er rückwärts blickend zwei Österreicherinnen beim Autowaschen zusah und dabei auf eine Kreuzung zufuhr. Selbstverständlich bei Rot. Im letzten Moment reagierte er auf mein Zurufen. Ein Glück, dass ich die Beiden nicht auch gesehen hatte. Vor grösseren Pannen blieben wir bisher verschont, die kleineren sind meist bei Sigi zu finden und können gekabelbindert werden. Gegen Ende der Reise wird sein Velo zu 50% aus Kabelbindern bestehen. Vermutlich erhöht das den Gesamtwert enorm.

Momentan steht unser Zelt ca. 100km südöstlich von Wrozlaw (Breslau) in einem von Rapsfeldern umgebenen Wald. Der Sonnenuntergang war schön orange, die Mücken schön nervig und wir schön hungrig.

 

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