Nordkap retour einfach irgendwas

Juni
9

22.00
Zur Feier des schönen Tages (bzw. Halbtages, am Nachmittag war es ziemlich bedeckt) gönnte ich mir heute gut 200km. Das ist eher an der oberen Grenze, Abermilliarden von kleinen und grossen Hügeln gingen ziemlich an die Substanz. In dieser Gegend steht der Bau von ebenen Strassen wohl unter Strafe. Diese folgen nämlich nicht den Ufern der Seen, sondern irgendetwas anderem. Den Bäumen vermutlich. Anfangs zeigten meine Beine ein schlechtes Gedächtnis und erholten sich in jeder Abfahrt von der vorangegangenen Steigung, im zweiten Teil nahm ihr Erinnerungsvermögen jedoch enorm zu. Ein Paar Beine mit Alzheimer, bitteschön. (Wenn wir gerade beim Thema sind: Ältere Leute sind hier nicht mit einem zweirädrigen Stütz-Gehwagen unterwegs, sondern mit einer simplen aber effizienten Weiterenwicklung desselben. Das Teil hat vier Räder, was zur Folge hat, dass man abwärts darauf stehen und ohne Anstrenung rollen, geradeaus mit einem Fuss leicht beschleunigen und bergauf ganz normal laufen kann. Schlicht genial, wie ich finde.) Da ich die letzten 20km gemächlich anging und man zudem locker vorwärts kam (die Strassenbauer hatten sich zur Abwechslung einmal über die Mindesthöhenmetervorgaben hinweggesetzt), spüre ich inzwischen glücklicherweise bereits nichts mehr.

Mein Zeltplatz liegt wiederum wunderschön an einem See, momentan scheint sogar ab und zu die Sonne hinein. Draussen hört man die Blätter im Wind rascheln und das Wasser ans Ufer plätschern. Mein Abendessen war leider eine kleine Enttäuschung: Der Kocher funktionierte entgegen aller Erwartungen aufgrund der geringen Sprit-Menge nicht mehr. Auch wenn ich es 30min lang versuchte. Nun gab es halt keine wohlverdiente Pasta, sondern Frühstückszeugs (Müesli, Brot etc.). Zur Sicherheit ass ich noch ein paar Farmer. Ich hatte schliesslich einige Kalorien verbrannt. Mein morgiges Frühstück wird nun halt etwas weniger umfangreich als gewöhnlich und ich werde so schnell wie möglich einkaufen gehen müssen. Tanken ebenfalls (Benzin für den Kocher). Mal sehen, ob ich das als Nicht-Autofahrer schaffe. A propos einkaufen: Ich hatte mich gestern getäuscht, als ich die Preise mit der Schweiz verglich. Wasser ist beispielsweise massiv teurer, für 1,5l zahlt man mindestens 2 €, also etwa 5mal soviel wie in der Mirgos. Ich kompensierte den teuren Einkauf mit zwei Gratis-Servelats vor dem Supermarkt. Inzwischen kann ich jeweils nicht mehr die erstbeste Einkaufsmöglichkeit benutzen, sondern muss darauf achten, dass ich mein beladenes Fahrrad irgendwo gefahrlos abstellen kann. Am Besten lässt man es von irgendwelchen einigermassen seriös aussehenden Leuten bewachen, die beispielsweise neben dem Supermarkt in einem Café sitzen. Dann kann man sich das mühsame Entladen und Herumschleppen des ganzen Gepäcks sparen. Nun ja, ab sofort werde ich das Wasser jedenfalls in der Toilette einer Tankstelle abfüllen. Eigentlich schade, dass ich mich beim Kauf von Nahrungsmitteln nun teilweise einschränken muss. Auch Süssgebäck ist etwa doppelt so teuer wie bei uns. Andererseits werde ich, sobald ich wieder zuhause bin, wohl noch 1-2 Monate arbeiten gehen, wenn ich etwas finde. Z.B. mit einem dieser tollen Elektromobile in der Migros- oder Coop-Betriebszentrale herumkurven und Pallette beladen. Von dem her könnte ich eigentlich darauf verzichten, von nun an nur noch Seewasser zu trinken und Bäume zu essen.

Landschaftlich war es heute ebenfalls erste Sahne. Die Strassen sind - abgesehen von den unzähligen Steigungen - sehr angenehm, wenig Verkehr und rücksichtsvolle Verkehrsteilnehmer. Nicht wie in Tschechien und Polen. Vielleicht liegt es daran, dass die Autos hier grösser sind. Wenn man mit einem mikrigen 1-Kubikmeter-"Fiat Polska" unterwegs ist und den Kopf auf den Knien abstützen muss, nimmt dadurch wohl der Druck aufs Gaspedal zu. In den den Städten und teilweise auch ausserorts sind die Velowege jeweils getrennt von der Strasse. Beim Überqueren einer Strasse hat man immer Vortritt, sofern kein Lichtisgnal vorhanden sind. Äusserst mühsam sind grössere Kreuzungen, da die Velowege dort oft unter der Strasse hindurchführen, was im besten Fall zu einigen zusätzlichen Höhenmetern führt. Im schlechtesten Fall unterquert man eine Strasse innert 100m dreimal, um dann zu bemerken, dass der Veloweg ab sofort in eine andere Richtung weiterführt. Die Wege sind ziemlich belebt, es sind zahlreiche andere Velofahrer sowie Inline-Skater (offenbar praktisch immer verhinderte Langläufer, da mit Stöcken unterwegs) anzutreffen. Man fühlt sich richtig wohl in Finnland.


Gemäss Karte hätte mich hier eine Fähre erwartet. Diese Erholungsmöglichkeit blieb mir jedoch verwehrt.


Kilometer 199.99. Boooooiiiiii!


Da sage ich nur näänä-nänäänä.

 

Kommentare:

Thomas aus Mörschwil (11.06.2006; 09:42):
Was man da alles erleben kann auf so einer Reise, und da gibt es Leute, die sagen, Velofahren sei langweilig ;-)...

Ich jedenfalls würde gerne deinen schönen Zeltplatz gegen meinen Arbeitspult tauschen, wo ich mich gerade verzweifelt mit bijektiven Normalprojektionen herumschlage...

Liebi Grüess und witerhin gueti Reis!

Thomas

Tom aus Bern (10.06.2006; 12:48):
Also Wasser hab ich zumindest in den Skandinavischen Ländern noch nie gekauft. Das kannst du dir sicher sparen. Auch hatte ich noch nie Angst - und noch nie Grund dazu - dass mir jemand das Fahrrad oder etwas davon klaut. (Ausser natürlich in Grossstädten.) Wobei Vorsicht natürlich immer ein guter Berater ist.

Ansonsten herzlichen Dank für deine unterhaltsamen Bericht. Ich lese sie täglich mit viel Genuss. Inzwischen sieht es so aus, dass ich diesen Sommer wohl auch noch etwas Finnland beradeln werde. Aber auftragsbedingt wohl nicht allzulange und erst im August.

E Gruss us Bärn!

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