Nordkap retour einfach irgendwas

Juni
18

03.00
Alors, hier erst einmal der Rapport.

Am Mittwochabend gab es dann doch kein Rentier-Geschnetzeltes, sondern Rentier-Pizza. Mit Ananas und Gorgonzola. Ich mag Gorzongola etwa so sehr wie Ditschi Bobo. Aber es hat sich trotzdem gelohnt, einfach der Erfahrung wegen. Peter, wie der (44jährige) Deutsche offenbar heisst, erzählte von seinen unzähligen Veloreisen durch Australien, Neuseeland, Kanada, Skandinavien und was weiss ich. Er hat Physik studiert, arbeitet aber seit langer Zeit bei der Post, wo er unzählige Überstunden ansammelt, um regelmässig grössere Reisen zu unternehmen. Wir plauderten bis ein Uhr morgens. Also vor allem er. Am nächsten Morgen frühstückten wir gemeinsam, trafen uns dann noch einmal zu einem Kaffee und fuhren am Nachmittag schliesslich gemeinsam los. Während der Fahrt diskutierten wir über Politik und andere existenzielle Dinge. Ich habe wohl in meinem ganzen Leben noch nie so viel gesprochen wie in diesen zwei Halbtagen. Nach 30km trennten sich unsere Wege, da Peter nach Kirkenes im Nordosten unterwegs war. Er wollte mich zwar dazu überreden, ihn zu begleiten, da es "nur" zwei bis drei zusätzliche Tage bedeutet hätte. Doch einerseits wollte ich einigermassen direkt ans Nordkap, andererseits zog ich die Einsamkeit einfach vor. Man gewöhnt sich halt irgendwie daran, ist unabhängig, kann den eigenen Gedanken nachhängen. Bei ständigem Gegenwind und über unzählige kleine Hügel kam ich nicht sehr schnell voran, erreichte jedoch trotzdem gegen Abend die norwegische Grenze. Ciao EU. Die Landschaft änderte sich überraschend schnell, die Bäume wichen Sträuchern und die Hügel wurden grösser. Teilweise waren sie mit Schneeresten befleckt. Ich fand einen neuen schönsten Zeltplatz, direkt an einem kleinen See, das steinige Ufer mit Moos und vereinzelten, blühenden Sträuchern bedeckt . Irgendwie fühlte ich mich in die Schweizer Alpen versetzt, die Vegetation war so ähnlich.

Am Morgen schien kurz die Sonne und ich kochte gemütlich meinen Cappuccino, ohne von den üblichen Mücken belästigt zu werden. Der Wind wehte leicht über den See. In solchen Momenten möchte man einfach nirgendwo sonst sein. Wenige Kilometer traf ich auf einem kleinen Rastplatz zwei Berner Ehepaare mit Wohnmobil. Ehe ich mich versah, sass ich auf einem gemütlichen Campingstuhl und futterte Brot mit echtem Emmentaler, dazu O-Saft und Milch aus der Migros. Kurz später kam mir ein Wohnmobil mit St.Galler Kennzeichen entgegen, was ich bereits etwas übertrieben fand. Als mich auf den nächsten 100km dann Cars aus Glarus, Kreuzlingen, dem Aargau und sogar ein Zürcher Jeep überholten, wähnte ich mich in einer Schweizer Enklave. Am frühen Nachmittag erreichte ich das Meer. Der Gegenwind hielt an. Nach insgesamt 130km änderte sich die Küstenlandschaft langsam und Nieselregen setzte ein. Links steile Felsen, teilweise bemoost, rechts das Meer, in der Luft ein spezieller, salziger Geruch. Wunderschön. Nach einer Kaffeepause führte die Strasse etwas mehr nach Nordost und ich hatte leichten Rückenwind. So arbeitete ich mich Bucht für Bucht vor, hielt dauernd an, um zu fotografieren, genoss die Strecke in vollen Zügen. Abends um 10 Uhr machte ich eine weitere grössere Pause und musste mich in der zunehmenden Kälte zusammenreissen, um nicht sofort das Zelt aufzustellen und mich im warmen Schlafsack zu verkriechen. Ich trug (über mehreren anderen Schichten) meine Goretex-Bekleidung (inkl. Überschuhe), sowie Stirnband und lange Handschuhe. Beim Ausatmen sah ich jeweils kleine Wölkchen und die vereinzelten Schneeflecken befanden sich bald auf gleicher Höhe. Dichter Nebel setzte ein. Um Mitternacht erreichte ich das Nordkaptunnel, welches knapp 7m lang ist und gut 200m unter dem Meer hindurchführt. Das Kap befindet sich nämlich auf einer kleinen Insel (zumindest auf Meereshöhe betrachtet). Es ist relativ gewöhnungsbedürftig, durch ein erst steil abfallendes, dann ebenes und schliesslich steil ansteigendes Tunnel zu fahren, in der Gewissheit, dass sich oben eine Meer befindet (obwohl es natürlich vollkommen irrelevant ist, ob da oben nun 200m Gestein und Wasser oder 200m Gestein zu finden sind). Der dritte Teil war ein ziemlicher Kampf, ich fuhr im leichtesten Gang und kam dementsprechend nicht vom Fleck. Ganz am Ende, nach einer kleinen Kurve, sah man endlich wieder Tageslicht (bzw. Nachtlicht). Auf jener Seite regnete es richtig. Ungefähr eine Stunde später erreichte ich Honningsvåg, das einzige Dorf der Insel. Ein richtiges Kaff, nur für die unzähligen Touristen, welche entweder auf der Strasse, über das Wasser oder per Flugzeug dorthin gelangen. Ich fuhr zuerst zum "Hafen", wo gerade ein riesiges Schiff vor Anker lag. Die Passagiere vertrieben sich in den Bars und Pubs entlang der kleinen Strasse durch das Dorf die Zeit bis zur Ab- oder Weiterfahrt. Ständig kamen vollbesetzte Busse aus den Hotels, welche zwischen Honningsvåg und dem Kap liegen, an. Eigentlich hatte ich herausfinden wollen, wann mein Hurtigruten-Schiff nach Hammerfest ablegen würde, konnte das jedoch nirgends in Erfahrung bringen. Ok, es war nach Mitternacht. Leicht übermüdet und ansatzweise tiefgefroren verliess ich das Dorf auf der Suche nach einem Campingplatz, welchen ich nach einigen Kilometern dann tatsächlich fand. Die sehnlichts herbeigesehnte heisse Dusche fiel beinahe einem Münzproblem zum Opfer, da man für warmes Wasser bezahlen musste. Selbstverständlich mit einer Münze, die ich nicht hatte. Ich probierte alle vorhandenen Alternativen und hatte Glück, ein viermal wertvolleres Stück Metall erlöste mich. Anschliessend stellte ich das Zelt auf und begab mich dann um 3 Uhr morgens in die Küche, um eine Pasta zu kochen. Ein sehr intensiver Tag, sowohl physisch als auch psychisch.

Gestern schlief ich aus und frühstückte gemütlich. Beim Bezahlen des Zeltplatzes geriet ich etwas in Verlegenheit, da meine EC-Karte nicht angenommen wurde und ich mässig viel Lust hatte, einige Kilometer nach Honningsvåg zu fahren, eine Bank zu suchen und wieder zurückzufahren. Mein letztes Euro-Münz löste das Problem elegant. Am Nachmittag machte ich mich auf die letzten 25km zum Nordkap. Ich habe 25km schon schneller zurückgelegt als in diesem Fall. Dass man auf dem Weg zum Kap einige kleine Pässe überqueren muss, ginge ja noch (die ganze Insel ist eigentlich eine einzige Ansammlung von Hügeln). Abartigster Wind machte daraus jedoch ein zweistündiges Unternehmen. So etwas habe ich noch nie erlebt. Als ich nach einer Kurve zur Abwechslung einmal mit dem Wind fahren durfte, konnte ich ohne zu treten leicht bergauf fahren (das habe ich nicht einmal mit dem Rennvelo und ohne eine Tonne Gepäck jemals geschafft). Meistens kam er jedoch von vorne oder von der Seite, was zur Folge hatte, dass ich ab und zu gegen die Leitplanke gedrückt wurde oder, wo keine solche vorhanden war, in den Strassengraben. Unterwegs kam mir ein dänischer Velofahrer entgegen, der sein Gepäck jedoch im Hotel gelassen hatte. Sehr, sehr lasch. Ausserdem bin ich der Meinung, dass die Gefahr abzuheben mit zusätzlichen 25kg geringer ist. Jedenfalls warnte er mich, nach der nächsten Steigung müsse man sich 30° gegen den Wind lehnen, um nicht umzufallen. Es war jedoch nicht viel schlimmer als zuvor. Irgendwann erreichte ich das Nordkap. Tränen der Rührung liefen mir übers Gesicht und ich fiel aus lauter Dankbarkeit auf die Knie. Oder so. Es war jedenfalls ein schöner Moment. Nach dem obligatorischen Selbstporträt vor dem Nordkap-Globus liess ich mich zum Restaurant pusten. Dort durfte ich mich in eine Art "Gipfelbuch" für Velofahrer eintragen. Einiges Stöbern zeigte, dass offenbar jeder zweite Schweizer einmal in seinem Leben mit dem Velo zum Kap fährt. Auf dem Weg dorthin hatte ich übrigens einen Holländer getroffen, der zu Fuss unterwegs war. Mit grossem Rucksack und seit Holland. Zwar in Etappen, aber trotzdem unglaublich. Zufälligerweise kannte er St.Gallen, da er auf dem (Fuss-)Weg nach Rom einmal ein Herisau vorbeigekommen war. Die Welt ist klein.

Nach der Schreiben der obligatorischen Familienpackung Postkarten und einigen Stunden im Panorama-Restaurant machte mich auf den Weg zurück. Es regnete wieder. Da das Schiff im 06.15 ablegen würde, beschloss ich, mich bis am Morgen in der Küche des Campingplatzes herumzutreiben, kaufte im kleinen Shop eine Packung Hörnli, eine grosse Büchse Hackfleischbällchen an Tomatensauce, eine Büchse Ananas und noch einige Dinge für unterwegs, kochte mir ein tolles Abendessen (natürlich nicht ohne vorher noch einmal minutenlang mit kochendem Wasser zu duschen) und begann anschliessend mit Twelve Monkeys. Dazwischen unterhielt ich mich eine Weile mit einem älteren Berliner (ich schätze ihn jetzt einfach einmal auf ungefähr 70), der ebenfalls mit dem Velo hierhergefahren ist, allerdings praktisch ohne Gepäck. Er erzählte in breitem Dialekt von seiner Reise und seinem Leben, meinte dann, er müsse jetzt gehen, im Weglaufen kam ihm aber eine weitere erwähnenswerte Episode in den Sinn, und so ging das eine Weile. Es ist interessant, wie schnell einem in solchen Gesprächen relativ persönliche Dinge mitgeteilt werden. Ich erfuhr beispielsweise ziemlich bald, seine Frau sei vor einigen Jahren gestorben und er vermisse all diese Dinge schon manchmal etwas, "bekomme sie aber auch dort, wo er jeweils hingehe" (begleitet durch ein verschmitztes Lächeln). Hm.

Momentan scheint die Sonne zum Fenster hinein und der Himmel ist tiefblau. Um 03.00. Ein sympathischer motorradfahrender Schwede, den ich gestern Nacht hier antraf, nachdem er mich unterwegs überholt hatte (er erzählte vorhin, wie sehr er sich bemitleidet hatte, durch dieses elende Wetter fahren zu müssen, sich seine Laune aber schlagartig besserte, als er mich passierte), findet das jedoch scheinbar weniger toll, da er nicht schlafen kann bei dieser Helligkeit. Tja, herzliches Beileid. Nach einem Tag auf dem Velo kann man auch in einem Lampengeschäft schlafen (nur muss ich momentan leider ausnahmsweise wach bleiben, da ich ansonsten das Schiff verpassen würde). Im Laufe der Zeit gesellten sich auch noch ein paar Deutsche, eine Schwedin und eine Schweizerin dazu und ein wildes Durcheinander aus allen möglichen Sprachen nahm seinen Lauf. Zudem kam ich zu einer weitern Mahlzeit in Form einiger Teller Spaghetti. Eigentlich verbinge ich sowieso die meiste Zeit mit essen. Ich habe schlicht ständig Hunger, was hier relativ teuer werden kann. Gestern habe ich wohl etwa 60.- für Verpflegung ausgegeben (davon 30.- im Nordkap-Restaurant), wobei jedoch ein Teil davon für den heutigen Tag bestimmt ist. Scheinbar verbrenne ich pro Tag 10000 kcal...

Gegen Mittag werde ich in Hammerfest eintreffen. Ich bin mir noch nicht ganz sicher, ob ich dort, 150km später in Alta oder weitere 400km später in Tromsø eine längere Pause einlegen möchte (auf jeden Fall werde ich in der Gegend um Hammerfest irgendwo einmal 20h schlafen, es häuft sich langsam ein grösseres Defizit an). Da Tromsø die einzig grössere Stadt ist, wird die Wahl wohl darauf fallen. So oder so werde ich in nächster Zeit entlang der norwegischen Küste herumdüsen. Ich freue mich total darauf.


Falls das stellenweise etwas wirr war: Ich bin ziiiiiiiiiiiemlich müüüüüüüüüde.

 

Kommentare:

Ruedi und Ursula aus ruermühle (22.06.2006; 19:44):
Lieber Thomas
Mit grösstem Vergnügen verfolgen wir deine spannenden, erheiternden Berichte und deinen Weg . Jetzt ahnst du vielleicht, weshalb wir Spanien vorziehen! 40° und keine Regenhosen! Weiterhin gute Reise, unsere beginnt in gut zwei Wochen in Malaga. Herzlich, Ursula und Ruedi

manu aus Rorschacherberg (21.06.2006; 22:21):
Da verfalle ich doch gleich in Fernweh. Deine Fahrrad-Strapazen sind zwar längst nicht so schlimm wie mein Rollkoffer schwer war, doch deine Beschreibungen der Natur lassen meine Erinnerungen wieder aufleben. Herrlich.
Ich werde wieder das Flugzeug nehmen.

beste grüsse,

emanuel

ps: musst mir dann mal alle photos zeigen, gell!

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