Nordkap retour einfach irgendwas
Juni
22
20.15
Am Dienstagmorgen liess ich mir Zeit und verliess Alta erst gegen Mittag. Mein Paket mit den Landkarten war tatsächlich auf der Post abholbereit und ich freute mich darauf, wieder einmal mit einer Karte normalen Massstabes unterwegs zu sein. Auf meiner 1:1500000-Skandinavien-Gesamtkarte kommt man irgendwie nicht vom Fleck. Nach wenigen Stunden traf ich Willi, den offenbar 68jährigen Berliner vom Campingplatz in Honningsvåg. Ich hatte sein Alter also nicht schlecht geschätzt. Da er nur mit einem kleinen Rucksack auf dem Gepäckträger unterwegs ist (er übernachtet immer in Campingplatz-Hütten oder Hotels), kam ich auf den folgenden 100km, die wir zusammen unterwegs waren, ziemlich ins Schwitzen. Er erzählte praktisch ununterbrochen. Von seiner Reise, seiner Zeit als Schlosser in der DDR, seinem jetzigen Leben. Es war köstlich. Ich erfuhr beispielsweise, dass er sich in Honningsvåg jeweils im Hotel neben dem Campingplatz gratis verpflegt hatte, indem er sich einfach zum richtigen Zeitpunkt dort einschlich. Unterwegs streicht er sich Marmelade und Butter aufs Brot, die er in den Hotels mitgehen lässt, oder staubt einen Kaffee ab, wenn er irgendwo auf eine pausierende Reisegruppe im Car trifft. Erfinderisch muss man sein. Gegen 19.00 nahm er sich auf einem Campingplatz eine Hütte und ich machte mich auf den beschwerlichen Weg über einen weiteren Pass, um ins nächste grössere Dorf zu gelangen. An der norwegischen Küste fährt ständig in Fjorde hinein, anschliessend bewegt man sich jedoch nicht der Küste entlang zum nächsten Fjord, sondern kürzt die ins Meer ragende Landzunge ab, was zur Folge hat, dass man dauernd kleine Pässe überqueren muss. Wenn man - vor allem mit dieser Menge Gepäck - regelmässig ein paar hundert Höhenmeter macht, wird man relativ schnell müde. Als ich spätabends endlich an meinem Ziel eintraf, war ich total erschöpft, doch überglücklich. Ich stellte mein Zelt auf einem Fussballplatz auf, ass 4 Portionen Pasta und schlief anschliessend schnell ein.
Statt 240km der unglaublich zerklüfteten Küste zu folgen, entschloss ich mich, zwei kleine Fähren zu benutzen und mir so 120km zu ersparen. Das zunehmend schlechte Wetter erleichterte meine Entscheidung. Da ich nur noch wenig Bargeld hatte, wollte ich in jenem Dorf, wo die erste Fähre ablegen sollte, auf der Bank einige Noten abheben. Leider wurden weder EC noch Postcard akzeptiert. Ich kann ja verstehen, dass nicht jeder Dorfladen meine Karten annimmt, aber auf einer Bank erwarte ich das eigentlich. Egal. Da das nächste Kreditinstitut 50km entfernt war, liess ich es darauf ankommen, um dann erfreut festzustellen, dass die Fähre praktisch geschenkt war und ich mit meinem restlichen Geld wohl bis Tromsø durchkommen würde. Während ich im Hafen auf das Schiff wartete, beobachtete ich, wie ein Carchauffeur seiner deutschen Reisegruppe Suppe austeilte. In bester Willi-Manier stellte ich mich hinten an und bekam ebenfalls einen Teller voll. Einem durchnässten Velofahrer mit Hundeblick kann man sowas wohl gar nicht abschlagen.
Nach einem kurzen Zwischenstück auf dem Land und einer weiteren Fähre erreichte ich die Hauptstrasse nach Tromsø und traf gegen 18.00 dort ein. Um mir das Geld für eine Übernachtung in der Jugi zu sparen, zeltete ich auf einem Hügel in der Nähe der Brücke zur Insel, auf welcher die Stadt liegt. Auf dem Weg dorthin fragte ich einige spielende Kinder nach Wasser. Prompt wurde der englisch sprechende Vater geholt, der sich freundlich bereit erklärte, meine Flaschen zu füllen, währenddessen ich den Kindern mit Händen und Füssen zu erklären versuchte, wo die Schweiz liegt. Heute morgen checkte ich dann zeitig in der Jugi ein, die sich auf der anderen Seite der Anhöhe befindet, welche die Insel in zwei Hälften teilt. Da sich der Flughafen ebenfalls auf jener Seite befindet, konnte ich beim Mittagessen (ich hatte mir Pasta gekocht und Hamburger gebastelt) den startenden und landenden Flugzeugen zusehen. Am Nachmittag suchte ich einen Velomech, um meinen Umwerfer zu ersetzen. Der Lehrling verspürte leider das starke Verlangen danach, mein Schaltauge zurechtzubiegen, um nach einigem Knacken und noch verbissenerem Biegen zu bemerken, dass es nun angerissen war. Wie ich dann erfuhr, verwendet praktisch jeder Rahmenhersteller andere Schaltaugen. Mein Modell war selbstverständlich nicht vorrätig, innerhalb einer Woche könne es jedoch bestellt werden, wie man mir mitteilte. Ich war begeistert und sah mich bereits mit dem Velo auf dem Rücken nach Hause laufen. Der nach einiger Zeit herbeigerufene Truls (ein Velomech, wie er im Buche steht) rettete meine Reise, indem er kurzerhand ein passendes Schaltauge zurechtfräste (Nothing's impossible if you're god or a bicycle mechanic). Und zwar detailgenau. Wenn ich ihn für die etwa zweistündige Arbeit angemessen hätte bezahlen müssen, wäre ich jetzt wohl pleite. Da er jedoch bald in die Schweiz kommen wird (seine Frau interessiert sich anscheinend für irgendeine Hundezucht in der Nähe St.Gallens, ausserdem werden sie sich ein Ferienhaus in Österreich kaufen), wird er sich als Dankeschön auf ein Bier einladen lassen (er spricht übrigens fliessend deutsch). Unterdessen ersetzte ich meine Bremsklötze und den Umwerfer. Am Ende zeigte mir Tom, ein Waliser, der vor 4 Jahren auf einer Fahrradtour in den Süden hier hängen geblieben ist, wie ich meine beiden verbogenen Speichen zu ersetzen hatte. Nun bin ich gut gerüstet für die Heimreise.
Mein nächstes Ziel ist die landschaftlich wunderschöne Inselgruppe der Lofoten. Aufgrund des mässigen Wetters werde ich mir die mehreren hundert Kilometer dorthin (in Luftlinie sind es über dreimal weniger) ebenfalls schenken und morgen Abend mit dem Schiff direkt hinfahren. Sobald man dann von den Lofoten wieder aus Festland übergesetzt habe, führt die (Haupt-)Strasse nicht mehr den Fjorden entlang, sondern ein bisschen im Landesinnern relativ direkt nach Trondheim. Falls das Wetter jedoch besser wird, könnte ich mir vorstellen, eine kleinere Strasse entlang der Küste zu nehmen. Momentan habe ich einfach absolut keine Lust, im Regen diese unzähligen Fjorde abzufahren. Ich mache hier schliesslich Ferien. Gestern traf ich einen deutschen Velofahrer, der ebenfalls auf dem Rückweg ist. Er erzählte, dass er auf der Hinreise durch Schweden praktisch ständig schlechtes Wetter hatte. Auch bei Willi, der über Norwegen anreiste, regnete es offenbar meistens. Irgendwie kann ich nicht ganz nachvollziehen, wie man sich sowas antun kann. Ich nehme nicht an, dass das Spass macht. Sachen gibts. Ein Glück, dass ich über Finnland zum Nordkap fuhr...
Morgen werde ich mir den Artic-Alpine Botanic Garden und Polaria, einen "arktischen Erlebnispark", ansehen. Heute Abend gehe ich eventuell ins Kino, je nachdem, ob zu einer sinnvollen Zeit etwas Sinnvolles läuft. Momentan regnet es gerade in Strömen und ich habe dementsprechend mässig Lust, mein gemütliches Café zu verlassen. Wir werden sehen...
Kommentare:
Thomas aus Tromsø (23.06.2006; 18:25):
@Tom
Wäre der Weg nicht Ziel, würde ich längst mit Easyjet in der Gegend herumfliegen. ;-)
Mal sehen, wie es Bodø aussehen wird. Bei schönem Wetter werde ich deinen Rat auf jeden Fall befolgen.
Das mit dem Bahnhof höre ich zum ersten Mal, für einen Besuch wird es nun wohl etwas knapp... Hast du Photos davon?
@Thomas (gibts hier eigentlich auch Leute, die nicht Thomas heissen?)
Im Falle eines halben Backflips würde ich bequem auf dem Anhänger landen. Ab sofort nehme ich das Teil also immer mit, wenn ich euch unterwegs bin. Das hätte zudem den positiven Nebeneffekt, dass ihr beiden Memmen-Downhiller bergauf hineinsitzen könntet.
TK aus SG (23.06.2006; 11:05):
Hoi Swissbiking-Kolleg! hey, xeni das richtig, dass dus verpennt häsch, zum am magische 21.6., am längschte tag vom joor am nordkap z sii?
naja, denn mömmer di halt än tag früäner in SG wider erträge ;-) machs guät und kei nöd z oft uf dä rugge, TK
Tom aus Bern (22.06.2006; 22:41):
Hallo!
Unglaublich wie schnell zu vorwärts gehts. Hoffentlich bleibt aber der Weg auch ein bisschen das Ziel dabei.
Falls das Wetter doch noch etwas besser wird: fahr unbedingt nach den Lofoten der Küste nach 'gen Süden. Der Kystriksveien 17 ist vom Schönsten, was Norwegen zu bieten hat. Die A6 im Landesinnern ist nicht gerade das, was man sich als Fahrradfahrer antun will. (Stand 1997, smile).
Hast du den Bahnhof (!) in Tromso schon besichtigt?